4. Rosamunda

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Sie sollten wissen, dass mein Sohn meinem Großvater sehr ähnelt. Schon als kleines Kind erkannte Ich in ihm das Zeug zu einem großen Krieger. In seiner Blütezeit kämpfte mein Großvater so tapfer, dass sogar die Oströmer Ihn fürchteten. Er kehrte stets mit reichen Beutestücken aus den Schlachten zurück, und der schönste Ring, den Er mit einem großen roten Stein zierte, war sein Hochzeitsgeschenk für meine Großmutter. Sie stammte aus dem Stamm der Gepiden, die angeblich aus dem Norden kamen und mit den Goten verwandt waren. Sie hatten viele Kinder, doch nur sechs von ihnen überlebten.

Mein Vater führte die Familientradition fort und war der schnellste Schwiertkämpfer. In dem Jahr, als Ich geboren wurde, hatten Bleda und sein Bruder Attila gerade die Herrschaft über die Hunnen übernommen. Jedes Mal, wenn mein Vater in die Schlacht zog, hatte Ich Angst, dass er nicht zurückkehren würde, doch das Schicksal war uns wohlgesinnt, und Er kehrte immer mit immer mehr Reichtümern heim. Eines Tages wurde Attila zum alleinigen Herrscher der Hunnen, und es ging das Gerücht um, dass Er seinen Bruder getötet habe. Doch mein Vater sprach nie von solchen Dingen vor uns, und so kann Ich  nicht sagen ob es wahr ist oder nicht.

Eines ist jedoch gewiss: Unser Stern stieg noch höher, als Ardarich, der König der Gepiden und einer von Attilas Vertrauten, auf unsere Familie aufmerksam wurde. Er schätzte immer den Mut meines Vaters auf dem Schlachtfeld und die Tatsache, dass meine Mutter aus einer angesehenen gepidischen Familie stammte.

Wir alle wussten, dass Attila ein großes Heer sammelte, um gegen die weströmischen Truppen zu ziehen, als die Nachricht kam, dass die Erde in Konstantinopel bebte und die große Stadtmauer eingestürzt war. Attila ließ keine Zeit verstreichen und nutzte die Gelegenheit, um sein gesamtes Heer gegen die oströmischen Truppen zu führen. Aus den Erzählungen meines Vaters weiß Ich, dass unsere Leute die aus Stein gebauten Städte der Römer eroberten.

Zu dieser Zeit war Ich im heiratsfähigen Alter. Aufgrund des Rangs meiner Familie kam Ich an den Hof von Kreka, wo Attilas erster Frau  in einem prächtigen Holzpalast lebte. Eines Tages, als wir Mädchen auf Teppichen im Palast saßen und aus bunte Fäden unsere Stickereien webten, kam ein Gesandter aus Konstantinopel zu Kreka und brachte Ihr kostbare Geschenke. Er sprach eine Sprache, die Ich nicht verstand, obwohl Ich am Königshof die Sprachen der Hunnen, Gepiden, Goten und sogar ein wenig die Sprache der Römer beherrschte. Erst später fand Ich heraus, dass der Gesandte griechisch sprach, die Sprache der Oströmer. Glücklicherweise hatte Er einen Dolmetscher dabei, der alles übersetzte. So erfuhr Ich, dass sein Name Priskos war und Er gekommen war, um eine Botschaft des Kaisers zu überbringen. Wohin Er auch ging, wurde Er von einem Schreiber begleitet, der alles sorgfältig aufzeichnete. Erst in meinem hohen Alter erfuhr Ich, dass dieser Priskos die Geschichte unserer Zeit dokumentiert  hat.